Die Geschichte des MV Flügelrad Stuttgart e.V.(mit Auszügen aus der, anlässlich des 75 jährigen Vereinsjubiläum 1995 erstellten, Chronik von Hermann Gökeler) Die besondere Verbindung des Musikvereins Flügelrad Stuttgart (kurz MVF) zur Eisenbahn ist bereits im Vereinsnamen sichtbar. Das "Flügelrad" ist das Symbol der Eisenbahn. Es steht für Geschwindigkeit, die vor allem in den Anfangsjahren der Züge herausragend ist. Noch heute ist das "Flügelrad" als traditionelles und allgemeines Symbol im Schienenverkehr weltweit verbreitet. Wie kommt es, dass ein Musikverein aus Stuttgart sich nach diesem Symbol benennt? 1920er Jahre - Die Gründerzeit des MVF Gegründet wird der Musikverein Flügelrad im Jahr 1920 in Stuttgart auf der "Prag". Als "die Prag" wird der Höhenrücken nördlich der Innenstadt zwischen dem Höhenpark Killesberg und dem Rosensteinpark bezeichnet. Im Westen an Nordbahnhof und Pragfriedhof grenzend, gehört "die Prag" zum Stadtbezirk Stuttgart-Nord. Dieser Stadtteil entsteht Mitte des 19. Jahrhunderts im Wesentlichen, weil für die Vielzahl der Beschäftigten, die beim Bau der "Centralbahn Esslingen - Stuttgart - Ludwigsburg" und des Wagenladungsbahnhofs, der zwischen heutiger Heilbronner Straße und Nordbahnhofstraße entsteht, involviert sind, Wohnraum benötigt wird. So wachsen im Jahr 1869 erst das "Postdörfle" und etwa 25 Jahre später das "Eisenbahnerdörfle" städtebaulich in die Höhe. ![]() Belegt ist die Entstehung der Siedlungen durch ein Zitat von Eduard von Pfeiffer, Ehrenbürger Stuttgarts und Unterstützer des Wohnungsbaus, anno 1906: "Im Norden der Stadt, auf der Prag, an der Ludwigsburger Straße (heute Nordbahnhofstraße), wurde ein Bauareal von 948a eingekauft; im Jahre 1894 wurde mit dessen Überbauung begonnen und seit dieser Zeit nach einem bestimmten Plane fortgesetzt. Die ganze Anlage wird in 11 Häuserblocks abgeteilt und bietet Raum für 120 Häuser mit über 800 Wohnungen. Bis heute ist etwa die Hälfte der Anlage vollendet. In 55 Häusern haben 402 Familien ein allen Anforderungen entsprechendes Unterkommen gefunden. Außerdem wird in der Kolonie eine Badeanstalt und eine Kleinkinderpflege erstellt. Die Badeanstalt enthält Einzelkabinette, ein kleines Schwimmbassin mit Auskleidezellen und Brausekabinette." Die Gründungsmitglieder des Musikverein Flügelrad Stuttgart kommen in den Jahren der Weimarer Republik aus größtenteils ländlichen Gebieten in diesem neu entstehenden Stadtteil in Stuttgart zusammen. Sie alle eint die Arbeit bei der damaligen Deutschen Reichsbahn, einem Vorläufer der heutigen Deutschen Bahn. Mit ihren Familien ziehen sie in die entstehende Kolonie - so die amtliche Bezeichnung - im unteren Block der Rosensteinstraße und finden hier ihr neues Lebensumfeld. ![]() Gründung des Musikverein Flügelrad im Jahr 1920 Die Vereinsgründung des Musikvereins Flügelrad Stuttgart fällt historisch in eine innenpolitisch äußerst unruhige Zeit. Deutschland ist nach dem verlorenen 1. Weltkrieg wirtschaftlich am Boden und politisch zerrissen. Die Motivation der Gründungsmusiker, das gemeinsam gepflegte Hobby des Musizierens durch eine Vereinsgründung zu untermauern, ist auch aus heutiger Sicht sehr gut nachvollziehbar: Es ist der Wunsch, sich an ihrem neuen beruflichen Lebensmittelpunkt in Form des Vereins auch privat einen Platz zu geben, an dem man sich kennenlernt, austauscht und wo sich ein Gefühl der Zusammengehörigkeit entwickelt bzw. über die Mitgliedschaft auch ausdrückt. Der 1920 gegründete Musikverein Flügelrad gibt seinen Mitgliedern in den unsteten 1920er Jahren, was ihnen in ihrem neuen Lebensumfeld Stuttgart zunächst fehlt: Kontinuität und das Gefühl sozialer Zugehörigkeit zu einer verlässlichen Gemeinschaft - kurz der Musikverein wird ein Ort, an dem sie sich zu Hause fühlen. So ist es ist nicht überraschend, dass der Musikverein in dieser, 1920 außerhalb der Stadt isoliert liegenden Siedlung, rasch Zulauf findet. Die "Prag" gilt daher bis heute örtlich als ursprüngliche Heimat des Musikvereins Flügelrad. Bis in die Gegenwart ist der Verein diesem Stadtteil sehr verbunden. Viele unserer fördernden Mitglieder und Freunde leben heute noch "auf der Prag" und auch einige unserer aktiven Musiker haben über die Generationen in Stuttgart-Nord ihre familiären Wurzeln. Es ist wahrscheinlich eher ein Zufall, aber durchaus ein bemerkenswerter, dass der Musikverein Flügelrad Stuttgart in der oben erwähnten zentralen Badeanstalt mit den Einzelkabinetten auch aktuell seinen Materialraum hat. Trotz widriger politischer und wirtschaftlicher Verhältnisse folgt das Vereinsleben dem Zeitgeist der 1920er Jahre und entwickelt sich in den Gründerjahren rege. Einen Grund zu feiern und damit zur Zerstreuung findet sich - so beispielsweise bereits 1925, als das fünfjährige Bestehen Anlass für ein erstes Vereinsfest gibt. Es folgt 1926 die Fahnenweihe der von den Damen der Mitglieder gestifteten Fahne, welche den Trompeter von Säckingen zeigt. Sie wird 1979 restauriert und ist mit ihren prachtvollen Stickereien zu einem unersetzlichen Stück Vereins- und Lokalgeschichte geworden. Ein erster Höhepunkt im Vereinsgeschehen ist 1927 eine Reise nach Graz zum dortigen Eisenbahner-Musikverein. Zwei Jahre darauf kommt die Kapelle aus Graz 1929 zu einem Gegenbesuch nach Stuttgart. 1928 ist die Kapelle des Musikvereins Flügelrad Stuttgart das erstes Blasorchester, das über Radio Stuttgart (heute SWR) spielt. Das aus dieser Zeit erhaltene Kassenbuch des Vereins spiegelt ein normales Geschehen über etwa zehn Jahre wider, obwohl sich in dieser Zeit erneut tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen anbahnen. So treten 1933 die ersten Gesetze in Kraft, die viele Vereine "gleichschalteten", d.h. in NSDAP-Organisationen überführen. Dass dies beim Musikverein Flügelrad Stuttgart nicht der Fall ist, liegt vielleicht an der Nähe zur Eisenbahn und damit zum Staat? Bis 1939 wird in den Unterlagen noch von vielen Aktivitäten des Vereins berichtet, was sich aber in den Kriegsjahren drastisch ändert. Viele Musiker werden zum Militärdienst, bzw. zum Kriegsdienst bei der Eisenbahn eingezogen und ab 1940 gibt es keine Probearbeit mehr im Musikverein Flügelrad. Bei einem Fliegerangriff auf Stuttgart in der Nacht vom 19. auf den 20. Oktober 1944 verbrennt die Vereinskasse samt Inhalt. In den letzten Kriegsjahren schafft Franz Götz - späterer Ehrenvorstand - gemeinsam mit Fritz Jenner, dem Wirt der Gaststätte "Prager Hof" (heute "Memories") die Voraussetzung dafür, dass dem Musikverein Flügelrad der Neuanfang nach Kriegsende möglich wird. Beide Männer nehmen die Gefahr auf sich und verstecken klammheimlich die wertvollen Instrumente und die Vereinsfahne in Wernau so gut, dass diese den Besatzungstruppen bei Kriegsende nicht als Souvenir in die Hände fallen. Die Vereinsannalen verzeichnen am 16.02.1948 als einen der letzten Posten der Reichsmark-Zeit "Auslagen für Transport der Instrumente von Wernau" mit RM 15,--. Neubeginn, Werden und Wachsen - der MVF von 1945 bis in die 70er Jahre Nach Kriegsende 1945 wiederholt sich das gesellschaftliche Phänomen, das dem MVF bereits in der Gründungsphase nach dem ersten Weltkrieg einen prosperen Start ermöglicht hat: Obwohl die Bevölkerung damit zu tun hat, ihr Überleben zu sichern und sich mit dem Nötigsten zu versorgen, nehmen sich viele Menschen auch nach dem 2. Weltkrieg Zeit, den Wiederanfang in den Vereinen zu organisieren und sich auch hier wieder etwas Gemeinsames aufzubauen. 1947 ergreift Franz Götz, der späteren Ehrenvorstand, die Initiative und so es geht auch für den Musikverein Flügelrad Stuttgart weiter. Anfang der 1950er wird die erste Jugendkapelle gegründet. Die aus diesem Jugendorchester heraus gewachsenen Musiker bilden bis in die Siebzigerjahre hinein die Basis für die Stammkapelle. Auch der später langjährige musikalische Leiter des Stammorchesters, Achim Böhle ist ein Jugendmusiker dieser Tage. ![]() Herausragende Auftritte der Stammkapelle in 50er Jahren sind z.B. die Umrahmung vieler Berufs-Boxveranstaltungen auf dem Stuttgarter Killesberg mit lokalen und nationalen Matadoren und gelegentlich auch internationalen Champions. Außerdem gibt der Musikverein Flügelrad viele Jahre lang am 24. Dezember ein Weihnachtskonzert auf der Plattform des Gebäudes der "Stuttgarter Nachrichten" am Schlossplatz. ![]() Der Wechsel der musikalisch ausgebildeten Jungmusiker der 50er Jahre aus der Jugendkapelle in die Stammkapelle leitet die allmähliche Änderung in der Beziehung des Musikvereins zur Eisenbahn ein. Der Nachwuchs kommt zu dieser Zeit zwar aus Eisenbahner-Familien, aber nur Einzelne sind noch selbst bei der Bahn beschäftigt. Der Abstand wird unmerklich größer, aber an der traditionellen Verbindung des Vereins zur Eisenbahn ändert dies wenig. So wirkt der Musikverein Flügelrad 1962 bei der Wiedereröffnung des Westbahnhofes mit, der Mitte der 1990er Jahre als Bahnhof "mit Halt" aufgegeben wird. Zwischen 1965 und 1970 finden die Jahresfeiern des Vereins im großen Saal der Brauereigaststätte "Wulle" statt, wo sich die Vereinsfamilie immer sehr willkommen fühlt. Im Jahr 1967 reist die Stammkapelle nach Delémont in der französischen Schweiz, um das 25-jähriges Jubiläum der dortigen Eisenbahner- Kapelle musikalisch zu begleiten. Die Musikerinnen und Musiker des MV Flügelrad werden bei diesem Besuch sehr herzlich von den Gastgebern aufgenommen und es entstehen schnell Kontakte. Die Freunde aus Delémont bereichern 3 Jahre später das 50jährige Jubiläum des Musikvereins Flügelrad im Jahr 1970 mit einem musikalischen Gegenbesuch. Beim Musikverein Flügelrad Stuttgart vollzieht sich in den 60er und 70er Jahren sowohl bei den aktiven als auch bei den fördernden Mitgliedern ein Generationenwechsel. In diesen Jahren ziehen viele Mitglieder von der "Prag" weg in andere Stadtteile Stuttgarts oder in die inzwischen entstandenen Vororte. Damit gibt es die bisher für die Vereinsmitglieder selbstverständliche Verbindung von Leben und Arbeiten im selben Stadtteil nicht mehr. Häufig leben die inzwischen im Rentenalter befindlichen fördernden Mitglieder des Vereins nach wie vor im Stadtteil "Prag". Sie sind die Eltern der aus dem Stadtteil strebenden Generation von aktiven Musikern. Der Musikverein Flügelrad wird so für manche Mitglieder der 2. Generation zum Bindeglied zwischen individuellem Lebensentwurf und angestammter "Heimat", inklusive damit verbundenem Wertegerüst. Durch den Verein kommt man regelmäßig "nach Hause" zu Eltern, Bekannten und Freunden in den Stadtteil, wo man gemeinsam aufgewachsen ist. In den späten 70er und frühen 80er Jahren bildet die Jugendarbeit einen Schwerpunkt im Verein. Erneut gelingt es, auch in dieser Generation eine Reihe Jugendlicher, die im Stadtteil leben und gemeinsam zur Schule gehen, für den Musikverein Flügelrad zu begeistern und musikalisch so zu entwickeln, dass auch aus dieser Gruppe Einige über Jahre als Musiker sowohl in Stamm- als auch Jugendorchester etabliert bleiben. So ist es möglich, das musikalische Spektrum kontinuierlich weiterzuentwickeln. Von besonderer lokalhistorischer Bedeutung ist die Eröffnung der ersten S-Bahnstrecke 1978 in Stuttgart. Mit der musikalischen Umrahmung präsentiert sich der Musikverein Flügelrad Stuttgart für die Öffentlichkeit wahrnehmbar wieder einmal als die Eisenbahner-Kapelle. ![]() S-Bahn Einweihung 1978 Beim nächsten, "royalen Einsatz" auf dem Stuttgarter Hauptbahnhof im Jahr 1979 begleitet der Musikverein Flügelrad für die baden-württembergische Landesregierung den Empfang des im Sonderzug angereisten Königs von Tonga musikalisch. Die 80er und 90er Jahre im MVF Auch in den 80er Jahren ist der MV Flügelrad häufig öffentlich präsent. So wirkt das Stammorchester u.a. bei der Eröffnung weiterer Teilstrecken der S-Bahn und bei den Musiktagen des Bundesbahn Sozialwerks in Fulda 1982 und in Heilbronn 1984 erfolgreich mit. ![]() Musiktag des Bundesbahn Sozialwerks, Fulda 1982 Konzertante Höhepunkte sind die Auftritte beim Jubiläum "150 Jahre Eisenbahn in Deutschland" 1985 in Nürnberg und im Jahr 1987 beim Festakt "60 Jahre Stuttgarter Hauptbahnhof". Auch bei der Eröffnung der Hochgeschwindigkeitstrasse Stuttgart - Mannheim ist der Musikverein Flügelrad als ehemaliger Eisenbahnerverein musikalisch präsent - sogar live im damaligen SDR. Mitte der 80er Jahre sieht sich der Musikverein Flügelrad in seinem Heimat-Stadtteil "Prag" mit einem gesellschaftlich bedingten kulturellen Wandel konfrontiert, der den Stadtteil nachhaltig prägt. Ausländische Mitbürger stellen im Stadtteil "Prag" inzwischen einen verhältnismäßig hohen Anteil der jüngeren Bewohner. Die aktiven und leitenden Mitglieder des Vereins stellen sich den Herausforderungen in dieser Zeit mit der im Verein etablierten humanistisch-toleranten Grundhaltung. "Das Flügelrad" - wie die Alteingesessenen Prägemer ihren Verein liebevoll nennen - übernimmt im Rahmen seines Wirkens Verantwortung im Stadtteil. So gelingt es immer wieder, auch Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund in das Vereinsleben zu integrieren und an Instrumenten auszubilden. Bei vielen Anlässen und Veranstaltungen, z.B. im Rahmen des Projektes "Haus 49", trägt der Musikverein Flügelrad Stuttgart seinen Teil zum Gelingen der Integration von verschiedenen Bevölkerungsgruppen auf der Prag bei. 1976 veranstaltet der Musikverein Flügelrad Stuttgart erstmals die bald traditionell etablierte "Prägemer Hocketse" als sommerliches Straßenfest im Stadtteil. Auch damit fördert der Verein das Zusammenwachsen von Alt- und Neu-Prägemer Bürgern. Die musikalische Begleitung von Veranstaltungen der Werkstätten der "Lebenshilfe" in der Löwentorstraße ist ebenfalls ab Mitte der 80er Jahre fester Bestandteil im Vereinskalender des MV Flügelrad. Im Jahr 2001 findet die "Prägemer Hocketse" erstmals auf dem Gelände der "Lebenshilfe" statt. Gelegen im ehemaligen IGA Gelände hat die Sommerhocketse des Musikvereins somit spätestens im Jahr 2001 neben dem kulturell integrativen auch einen inklusiven Charakter - was die Vereinsleitung aber nicht dazu verleitet, dieses soziale Engagement des Vereins auch plakativ politisch zu platzieren. Die 90er Jahre beginnen öffentlichkeitswirksam mit einem Abstecher zur Stadtbahn. Als der Tunnel von der Prag hinauf zum Killesberg fertig ist, hat der Musikverein Flügelrad bei der musikalischen Umrahmung der Eröffnung ein Heimspiel. Bei der IGA 1993 spielt das Stammorchester gleich mehrere Konzerte, von denen eines auch im Rundfunk übertragen wird. Das Jahr 1995 steht im Zeichen des 75jährigen Vereins-Jubiläums. Hermann Gökeler, langjähriges aktives und förderndes Mitglied des Vereins, erstellt aus diesem Anlass eine Vereins-Chronik. Diese ist in großen Teilen (1920 - 1995) auch die inhaltliche Basis für diesen überarbeiteten geschichtlichen Vereinsbericht. ![]() 75-jähriges Jubiläum MVF 1995 Das Jubiläum wird in festlichem Rahmen im Beethovensaal des Kultur- und Kongresszentrums Liederhalle gefeiert. Das Stammorchester unter Leitung des Dirigenten Achim Böhle bietet seinem interessierten Publikum ein anspruchsvolles, breit gefächertes Programm. Unter Mitwirkung der Chorvereinigung Stuttgart Untertürkheim (Leitung von Kai Müller) kommen Operettenmelodien und die Filmmusik aus "Der mit dem Wolf tanzt", begleitet von visuellen Elementen aus dem gleichnamigen Film zur Aufführung. Den Abschluss bildet ein eindrucksvolles "Freude schöner Götterfunken", bei dem alle musikalisch Mitwirkenden einen festlichen Schlusspunkt unter das gelungene Jubiläums-Konzert setzen. Im gleichen Jahr reist das Stammorchester nach Neuchâtel in der französischen Schweiz und nimmt dort an der Veranstaltung "Fête fédéral des musiques ouvrières et des enterprises de transport" (Schweizerische Verkehrspersonal und Arbeiter-Musiktage) teil. Die Konzertreise besteht aus einem abwechslungsreichen Programm bei dem sich der Musikverein Flügelrad Stuttgart im Rahmen von Konzerten und im Rahmen eines Wertungsspiels einer internationalen Öffentlichkeit präsentiert. Besichtigungen und Begegnungen mit Musikern aus aller Welt runden die 3tägige Reise für die Aktiven des Stammorchesters als besonderes Erlebnis ab. Bereits im folgenden Jahr 1996 absolviert das Stammorchester erneut ein Wertungsspiel in Leinfelden mit Note "sehr gut". Die Teilnahme an Wertungsspielen hat für den Musikverein Flügelrad Stuttgart in den 1990er Jahren als Gradmesser für die Einordnung des musikalischen Wirkens einen hohen Stellenwert. Die letzte Dekade des 21. Jahrhunderts steht für den Musikverein Flügelrad Stuttgart nach wie vor im Zeichen der Jugendausbildung. Es ist für den mittlerweile einzigen Musikverein in Stuttgart-Mitte keine leichte Angelegenheit, Kinder und Jugendliche für das Erlernen eines Instrumentes zu begeistern. Doch auch die 3. Generation der Vereinsmitglieder zeigt sich kreativ. So versucht man durch verschiedene Aktionen in Schulen oder beim 1. "Tag der Musik" im Wartberggelände auf sich aufmerksam zu machen und neue, künftige Musiker zu gewinnen. ![]() Stand des MVF am Tag der Musik 1998 Der Standort "Prag" spielt auch in den 90er Jahren immer noch eine große Rolle für den Musikverein Flügelrad Stuttgart, denn die Jugendausbildung findet, wie seit Jahrzehnten, in der Rosensteinschule statt. Darüber hinaus befinden sich auch die Materialräume nach wie vor im Herzen des ehemaligen "Eisenbahnerdörfles", in bereits erwähnter "Badeanstalt". Auch wenn die Anzahl der fördernden Mitglieder auf der Prag, bedingt durch die sich ändernde Bevölkerungsstruktur in diesem Stadtteil, stark rückläufig ist, sind Mitte der 90er im Nordbahnhofviertel noch immer viele der treuesten und aktivsten Mitglieder des Vereins beheimatet. Ohne diesen "harten Kern" wäre dem Musikverein Flügelrad Stuttgart eine gute Vereinsarbeit beinahe undenkbar. Leider war es dem Verein bis in die Gegenwart nie möglich, eine Bleibe zu finden, welche die Utensilien und Bedürfnisse eines Musikvereins unter einem Dach vereint hätte. So sind Noten, Instrumente, Uniformen und für Feste benötigte Materialien an vielen verschiedenen Orten untergebracht. Obwohl mehrfach Gespräche geführt und Standorte sondiert werden, ist das eigene Vereinsheim auf der "Prag" immer ein Traum geblieben, dessen Verwirklichung spätestens mit dem Ende der 90ger Jahre weiter denn je in die Ferne gerückt ist. Der sich Anfang / Mitte der 90er Jahre abzeichnende Standortwechsel des Musikvereins Flügelrad Stuttgart ist zunächst eine rein pragmatische Entscheidung. Die bis Ende der 90er Jahre genutzte Probelokalität in den Klassenräumen der Rosensteinschule auf der Prag sind aus verschiedenen Gründen für den Musikverein nicht mehr attraktiv. Für die glücklicherweise in diesen Jahren steigende Zahl aktiver Musiker wird es zunehmend schwierig qualitativ gute Probearbeit unter den beengten Verhältnissen in den niederen Räumen der Grundschule zu leisten. Die kleinen Stühlchen der Grundschüler, auf denen die Stamm-Musiker montagsabends wöchentlich mehrere Stunden sitzen, sind heute noch bei den Beteiligten in Erinnerung. Zunächst wird die Verlegung der Probearbeit in den Musiksaal der Rosensteinschule angestrebt, um die Situation zu verbessern. Dies ist letztlich jedoch nicht realisierbar, weil das "Flügelrad" zeitlich mit anderen örtlich angestammten musikalischen Gruppen um diesen Raum konkurrieren müsste. ![]() Jugendkapellenwochenende 2000 Aufbruch und Wandel im neuen Jahrtausend (1999 bis 2019) Mit viel Engagement und durch fleißiges "Netzwerken" der aktiven Mitglieder gelingt es schließlich, in den Räumlichkeiten der Kirchengemeinde St. Rupert auf dem Cannstatter Hallschlag ein neues Probelokal für das Stammorchester zu finden, das mehr als gute Rahmenbedingungen bietet. Den Gemeindesaal St. Rupert zum Proben nutzen zu dürfen ist für den Musikverein Flügelrad Stuttgart bis heute ein glücklicher Umstand und die Entscheidung für den Ortswechsel von der "Prag" auf den "Hallschlag" ist so die konsequente Folge der geschilderten Entwicklungen. Neben verbesserten Probebedingungen bietet der Standortwechsel dem MVF auch die Möglichkeit in diesem, für den Verein neuen, lokalen Umfeld Kinder und Jugendliche anzuwerben. Der Musikverein Flügelrad wirbt jedoch am neuen Standort bewusst defensiv um Kinder und Jugendliche, um mit den im Stadtteil angestammten Musikvereinigungen nicht zu konkurrieren. Da der "Hallschlag" sich städtebaulich in den Nullerjahren aber sehr positiv entwickelt und neue Wohngebiete z.B. am Burgholzhof entstehen, floriert bald auch die Jugendarbeit des MVF. Aus Vereinssicht zu einem günstigen Zeitpunkt- denn in beiden Orchestern bahnt sich wieder ein Generationswechsel an. Ebenfalls am Anfang des neuen Jahrtausends beginnt die Kooperation mit der Musikschule "Notenfee" im Römerkastell, wo Kinder ab 4 Jahren in Musikalischer Früherziehung und ab 6 Jahren an der Blockflöte ausgebildet werden. Die Kinder haben während des Besuchs der Musikschule immer wieder Gelegenheit, verschiedene Blasinstrumente kennenzulernen und werden auf die Möglichkeit, die Ausbildung an einem Blasinstrument beim Musikverein Flügelrad fortzusetzen, aufmerksam gemacht. Neue aktive und auch fördernd Mitglieder kommen zum Musikverein Flügelrad Stuttgart. Vor allem bei den Musikern, die Ende der 90er und Anfang der 2000er Jahre neu zum Musikverein Flügelrad kommen, zeigen sich historische Parallelen zu den Anfängen des Vereins: Wie einst die "Gründungsmusiker" führt auch die neuen Aktiven häufig der Berufsweg in die Landeshauptstadt. Oft haben sie in ihren Heimatorten bereits Musik in Vereinen gemacht und suchen sich nun am neuen beruflichen Wirkungsort einen Musikverein - aus ähnlichen Motiven wie die Gründungsmusiker. ![]() Adventskonzert 2008 Der Musikverein Flügelrad Stuttgart bietet den musikalischen "Neu-Stuttgartern" über ihr Hobby ein Stück Heimat und profitiert vom bereits vorhandenen musikalischen Können, das sie "als ideelles Vereinskapital" einbringen. Zeitgleich streben Anfang der 2000er die im MVF großgewordenen Kinder der 3. und 4. Generation der ehemaligen "Eisenbahner" ins Stamm- bzw. ins Jugendorchester. Letzteres hat mittlerweile die Jugendprobe ebenfalls örtlich verlagert. Blieb die Jugend nach dem Wechsel des Stammorchesters von der Prag zunächst weiterhin im Heimatstadtteil und in der Rosensteinschule, so vollzieht sich auch für das Jugendorchester Anfang der 2000er Jahre der örtliche Wechsel in die neue Umgebung des Musikverein Flügelrad Stuttgart: Probelokalität wird zunächst das Gottlieb-Daimler-Gymnasium in Bad Cannstatt, später folgt die Altenburgschule, wo das Jugendorchester auch aktuell jeden Dienstag wöchentlich seine Proben abhält und Kinder und Jugendliche musikalisch fördert. In der auslaufenden ersten Dekade des neuen Jahrtausends stellt sich der Musikverein Flügelrad auch der Überarbeitung einiger Vereinsveranstaltungen. Dass die Besucherzahlen seit mehreren Jahren stark rückläufig sind, wird längst mit Sorge beobachtet und in den 2010er Jahren auch betriebswirtschaftlich deutlich belegt. So stehen beispielsweise für die traditionelle "Prägemer Hocketse" oder den vorweihnachtlichen "Adventsnachmittag", der über viele Jahrzehnte die Weihnachtszeit im MVF am 3. Adventssonntag einläutet, organisatorischer Aufwand und finanzieller Erfolg in einem krassen Missverhältnis. Wissend, dass beide Formate zu ihrer Zeit Berechtigung hatten und Traditionen nicht leichtfertig über Bord geworfen werden dürfen, sucht der Musikverein Flügelrad Stuttgart nach neuen Ideen und Konzepten um dem veränderten Bedarf des Publikums, das man mit den Vereinsfesten und Konzerten ansprechen und begeistern möchte, gerecht zu werden ohne die eigenen Werte zu verkaufen. Die aktiven und fördernden Mitglieder des Musikvereins Flügelrad sind auch im neuen Jahrtausend entschlossen, den Verein weiterzuentwickeln. Dem "Adventsnachmittag" folgt das ökomenische Adventskonzert, ein sinfonisches Kirchenkonzert mit weihnachtlichem Charakter, das abwechselnd in St. Rupert und der benachbarten Steiggemeinde am Samstagabend vor dem 3. Advent bei freiem Eintritt vom Stammorchester gegeben wird. Die an diesem Konzertabend eingehenden Spenden fördern zu gleichen Teilen den Kinderchor der Steiggemeinde und die Jugendarbeit im Musikverein Flügelrad Stuttgart. Das Jugendorchester findet seine eigene musikalische konzertante Plattform in einer separaten Herbst-Veranstaltung. Der sommerlichen "Prägemer Hocketse" folgen in den 2000ern die Veranstaltungen am Burgholzhofturm im Frühherbst. Diese haben ebenfalls Hocketse-Charakter, sind jedoch in Logistik und organisatorischem Aufwand sehr viel schlanker und sprechen zudem sehr öffentlichkeitswirksam die stets vorhandene "Laufkundschaft" in den Weinbergen über Cannstatt an. ![]() Burgholzhofturm 2012 Die traditionelle "Jahresfeier" des Musikverein Flügelrad wandelt sich über die 100jährige Vereinsgeschichte hinweg ebenfalls enorm. Ist sie zunächst ein Format, das in den 60er bis 80er Jahren in der Sängerhalle in Untertürkheim aus dem für die damalige Zeit klassischen Vereinsunterhaltungsabend "Konzert Jugendkapelle / Konzert Stamm-kapelle / Theaterstück/Tanz" besteht, erlebt sie in den 90er Jahren die erste Veränderung Mit dem Wechsel in die Festhalle Feuerbach heißt die Jahresfeier ab da "Frühlingsball" und verzichtet auf das Theaterstück zu Gunsten eines längeren Tanzes nach den Konzerten. Auch das Jahreskonzert des Musikverein Flügelrad Stuttgart verzeichnet über die Jahre stetig rückläufige Besucherzahlen. Obwohl die fördernden Mitglieder des MVF sehr flexibel sind und die Konzerte ihres Musikvereins an allen - über die Jahre wechselnden - Standorten besuchen um dem "Flügelrad" so die Treue zu halten, spürt der Musikverein Flügelrad Stuttgart auch bei diesem Veranstaltungsformat dass es zu Beginn der 2010er Jahre an der Zeit ist, auf sinkende Besucherzahlen eine Antwort zu finden. In seinen Gremien setzt sich der Verein mit der Frage auseinander, welche Erwartungen ein musikalisch interessiertes Publikum im Jahr 2015 an eine Laien-Konzert-Veranstaltung hat und wie diese für die Musiker mit Freude zu erfüllen sein könnten ohne Abstriche am musikalischen Anspruch zu machen. Als Ergebnis aller Überlegungen stellt der Musikverein Flügelrad Stuttgart seinen Stammhörern und einer (noch kleineren) interessierten Öffentlichkeit im Römerkastell 2017 erstmals ein verändertes Veranstaltungskonzept vor, das im 1. Teil des Abends einem traditionell klassischen Jahreskonzert entspricht und sich im 2. Teil mit Rock und Pop und Swing-Elementen, die - gesanglich begleitet - zum Ziel haben, Publikum und Musiker "in den Austausch" zu bringen zum interaktiven Konzerterlebnis wandelt. Die Mehrzahl der anwesenden fördernden und aktiven Mitglieder des Musikverein Flügelrad Stuttgart ist sich nach der Auftaktveranstaltung im Römerkastell im 1. Quartal 2017 einig, für den Moment eine passende Antwort auf die Frage nach der zukünftigen Ausrichtung gefunden zu haben. Die Neuauflage des Konzertes im Frühsommer 2018 unter dem Titel "Rock & Swing im Römerkastell" bestätigt das Erleben mit steigenden Besucherzahlen. Beide Formate werden in den Konzertkalender des MVF aufgenommen und finden auch 2019 im Römerkastell statt. ![]() Rock & Swing 2017 Wie der historische Bericht zeigt, gelingt es dem Musikverein Flügelrad Stuttgart über die Jahre immer wieder, sprichwörtlich "vereint" den Herausforderungen, die die jeweilige Zeit an das Vereinsleben stellt, zu begegnen. Obwohl die Wege gelegentlich unkonventionell, fast experimentell beschritten wurden und sicher zukünftig noch werden, sind sich die handelnden Personen - aktive und fördernde Mitglieder - darüber im Klaren, dass es für das Fortbestehen des Musikvereins sowohl das Bewusstsein für seine Wurzeln und als auch gelegentlich das Ausbreiten der Flügel und damit einhergehend das Verlassen der ausgetretenen Wege braucht. Nach fast 100 Jahren bewegter Vereinsgeschichte gibt das kurz vor dem Jubiläumsjahr 2020 Anlass durchaus optimistisch in die Zukunft zu schauen. |